21. September 2014
Bundesminister Schmidt will öffentlichkeitswirksam das Tierwohl mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken. Dabei ist ihm offensichtlich entgangen, dass die Diskussion um die Haltungsbedingungen der sogenannten Nutztiere schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und die Bürgerinnen und Bürger der Regierungspolitik weit voraus sind.
Große Teile der Bevölkerung wünschen sich mehr Tierschutz und bessere Lebensbedingungen für landwirt- schaftlich genutzte Tiere. Viele dieser Bürgerinnen und Bürger sind auch bereit, mehr Geld an der Ladentheke dafür zu bezahlen.
Was der Verwirklichung dieser Wünsche aus der Bevölkerung entgegen steht, ist kein Erkenntnismangel in Landwirtschaft und Wissenschaft, sondern sind wirtschaftliche Interessen der viel zitierten Wertschöpfungs- kette.
Die Auswahlmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind zudem, entgegen der Behauptung des Ministers, nicht gegeben, weil die unterschiedlichen Label und Deklarationen verwirren und es generell an einer in Bezug auf die Haltungsbedingungen der Tiere eindeutigen Kennzeichnung fehlt. Den Verbrauche- rinnen und Verbrauchern also die Verantwortung für Missstände in der Landwirtschaft zuzuschieben ist zu einfach und wird dem Problem deshalb nicht gerecht, weil ihnen für die Kaufentscheidung relevante Informa- tionen vorenthalten werden.
Wir brauchen keine PR-„Tierwohloffensive“! Was wir allerdings dringend benötigen, sind Durchsetzung und Vollzug bestehender nationaler und EU-Tierschutzgesetze. Hier bestehen in Deutschland erhebliche Defizite. Mindestanforderungen an die Haltung landwirtschaftlich genutzter Tiere müssen mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sein, Ausnahmeregelungen müssen Ausnahmen bleiben und dürfen nicht weiter zur Regel gemacht werden.
Hier fordern wir Tierärztinnen und Tierärzte des „Tierärztlichen Forums für verantwortbare Landwirtschaft“ unverzügliche Umsetzung. Nicht dagegen brauchen wir weitere Forschung zur tiergerechten Haltung von Nutztieren und Regelungen, die auf Freiwilligkeit der Wirtschaft beruhen. Auf diese Weise wird nur Zeit geschunden, um den profitablen Status quo möglichst lange aufrechtzuerhalten.
Wir fordern die Bundesregierung auf, den Maßnahmen des Niedersächsischen Tierschutzplanes als Mindest- maß für mehr Tierschutz zu folgen und nicht auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie zu setzen, die bisher nicht zum Fortschritt im Tierschutz geführt haben.
Allein die Forderung nach mehr Transparenz, ohne gleichzeitige drastische Verbesserungen der Haltungs- bedingungen zugunsten des Wohlbefindens der Tiere, wird nichts verändern.
Es hat den Anschein, als ob die angekündigte „Tierwohloffensive“ nur dazu dient, das Image der im öffent- lichen Ansehen ramponierten, aber von der Bundesregierung massiv unterstützten industrialisierten Landwirt- schaft und Viehhaltung aufzupolieren, ohne substantiell etwas verbessern zu wollen.