Zum Tierschutzskandal in Bad Grönenbach – ein Kommentar

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Tierschutzskandale und tierärztliches Berufsethos

Es reißt nicht ab! Wieder und wieder werden der Öffentlichkeit Bilder von eklatanten Verstößen gegen das Tierschutzgesetz präsentiert – aus Tierhaltungen, Schlachthöfen und von Tiertransporten, und eben jetzt auch aus einem der größten bayerischen Milchviehbetriebe.
Die Organisation SOKO Tierschutz hatte Anfang Juli den neuen Tierschutzskandal im Allgäu aufgedeckt, und die Medien „Report Mainz“, „FAKT“ und „Süddeutsche Zeitung“ haben ausführlich darüber berichtet. Die Anzahl und Erheblichkeit der Tierschutzvergehen in diesem Betrieb mit insgesamt fast 3000 Rindern sowie die Dimension der Angelegenheit überraschte nicht nur Tierschützer, sondern auch die Medien, Politiker und offensichtlich auch das zuständige Veterinäramt.

Die Videoaufnahmen, die die Tierrechtsorganisation SOKO Tierschutz präsentiert, machen jeden Betrachter mehr als betroffen.  Offensichtlich kranke und/oder bewegungsunfähige Tiere wurden geschlagen, getreten oder mit einem Traktor aus dem Stall geschleift. Tiere, die im „Krankenstall“ per Bozenschuss „betäubt“, aber nicht getötet wurden, blieben anschließend sich selbst überlassen und verendeten elendig. Es sind Bilder, die fassungslos machen und die man nicht mehr so schnell aus dem Kopf bekommt.

Dies alles, obwohl Kontrollbehörden den Betrieb angeblich mehrfach kontrolliert und auch schon „Beanstandungen“ ausgesprochen oder sogar Strafanzeigen gestellt hatten. Offenbar sah die Behörde aber keinen Anlass, den Betrieb risikoorientiert engmaschig und vor allem unangemeldet zu überwachen. Die erschreckenden Aufnahmen beweisen eindrücklich, dass die von der Veterinärbehörde ergriffenen Maßnahmen nicht nur nicht den Anspruch „auch in die Zukunft wirkend“ (§16a TierSchG) erfüllten, sondern völlig wirkungslos geblieben sind – bestehen doch die grausamen Zustände nach Aussage des Informanten des Rechercheteams von „FAKT“ schon mehr als 10 Jahre. Da die Kontrollen offensichtlich angekündigt wurden, drängt sich der Verdacht auf, dass das Veterinäramt seine pflichtgemaße Aufgabe nur unzureichend erfüllte und seiner Garantenpflicht im Tierschutz nicht in ausreichendem Maß nachkam. 

Die Nachverfolgung eines jeden einzelnen Rindes ist für die Behörden über die HI-Tier Datenbank problemlos möglich. Bei einer Tierhaltung dieser Größenordnung, die noch dazu als Risikobetrieb einzustufen war, hätte ein Blick in diese Datenbank und eine Nachfrage bei der zuständigen TKBA Aufschluss und Anlass für intensivere Nachforschungen gegeben.
Eine wirksame Kontrolle ist nicht nur eine Sache von zahlenmäßig ausreichendem Personalbesatz. Sie ist ebenso eine Sache von Engagement und persönlichem Interesse an der Umsetzung des Staatsziels Tierschutz. Wer, wenn nicht Tierärzte, sind dafür zuständig?
Und so muss ebenfalls auch die Arbeit der Hoftierärzte intensiv hinterfragt werden. Einer dieser Tierärzte soll z.B. seine Praxis in einer räumlichen Entfernung von fast 300 km haben und ohne die Tiere in Augenschein zu nehmen regelmäßig Schlachtbescheinigungen ausgestellt haben. Auch den anderen involvierten praktizierenden Tierärzten können solche Vorgänge und der Zustand der Tiere nicht verborgen geblieben sein.
Skandale wie dieser sind nur in ihrer Dimension ein Einzelfall, ansonsten wohl eher die Spitze des Eisberges. All die vielen mittlerweile von Tierschutz-/Tierrechtsorganisationen aufgedeckten tierschutzrelevanten landwirtschaftlichen Tierhaltungen werfen nicht nur die Frage auf, inwieweit Tierärzten Versäumnisse vorzuhalten sind; nein, sie dokumentieren sogar nicht selten eine direkte Beteiligung von Tierärzten. 
Die Tierärzteschaft – laut ihrer Berufsordnung die „berufenen Schützer der Tiere“ – muss sich vorwerfen lassen, dass sie die Rationalisierung und Industrialisierung der landwirtschaftlichen Tierhaltung mit all den vorhersehbaren Problemen zugelassen, ja sogar erst möglich gemacht hat. Aufgrund ihrer besonderen fachlichen Qualifikation und ihrer Schlüsselposition wussten Tierärzte doch genau, dass man die Tiere nicht unter Missachtung ihrer natürlichen Bedürfnisse an die sog. ,modernen’ Haltungsformen anpassen darf, dass man sie nicht züchterisch zu Hochleistungsmaschinen umformen und als wertlose Massenprodukte ausnutzen darf. Der Tierarzt /die Tierärztin, ob in der Praxis, in den Ämtern, in der Wissenschaft und Lehre sowie auch in politischer Funktion ist eben nicht zuerst Dienstleister einer „modernen Landwirtschaft“, und er/sie darf den Tierschutz als Wert an sich nicht mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten abwägen. Leider ist genau das zu beobachten. Und leider sehen sich Kollegen, die ihre Aufgabe im Tierschutz ernst nehmen, nicht nur mit Angriffen von der Wirtschaftsseite, sondern häufig auch mit Angriffen aus den eigenen Reihen konfrontiert.
Zum aktuellen Fall gibt es bisher keine offizielle Verlautbarung der berufsständischen Vertreter. Insbesondere verwundert, dass nicht einmal von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT e.V.) eine Stellungnahme zur Gesamtsituation und den immensen Vollzugsdefiziten zu vernehmen ist. 
Immer häufiger werden die vielen durch die Medien aufgedeckten Zusammenhänge und Verflechtungen im Agrarbereich vor dem Hintergrund der Tierschutzskandale von Journalisten und Wissenschaftlern als „Agrarkriminalität“ bezeichnet. 
Die längst überfällige Veränderung des von einer breiten Öffentlichkeit abgelehnten Agrarsystems wird von den Profiteuren des Systems und den politisch Verantwortlichen blockiert. Es geht um viel (Subventions)Geld und um Deutschland als eine der führenden Exportnationen für Agrarprodukte.
Die Tierärzteschaft muss sich fragen, ob sie wirklich mit diesem großen gesellschaftlichen Schaden anrichtenden System eng verbunden sein will. Müsste nicht z.B. der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt e.V.) seine Mitgliedschaft im ,Forum moderne Landwirtschaft‘, der Vereinigung agrarindustrieller Unternehmen und Konzerne, überdenken und auf Vereinbarkeit hinsichtlich Berufsordnung und tierärztlichem Ethikkodex prüfen? 
Der Punkt ist gekommen, an dem die Tierärzteschaft mit einer Stimme ganz deutlich und unmissverständlich Partei für die Tiere ergreifen muss und zwar so, dass dies in der Öffentlichkeit auch wahr genommen wird. Es geht um Integrität und Ehre des Berufsstandes.